David Roentgen: Schreibschrank
Original: Roentgenmuseum Neuwied Inventarnummer 7373
beschrieben und abgebildet in:
- GREBER, Josef Maria 1980, S. 219-222 (Bd.1) und S. 287-289, Abb. 560-654,(Bd. 2)
- SCHÜTZ/WILLSCHEID, 1990, S. 48
- DOROTHEUM, Wien, 2015
Ausstellungen: Der Schreibschrank zählt zum langjährigen Inventar des Roentgen-Museums Neuwied und befindet sich dort in der Dauerausstellung.
Herkunft und Datierung
Der Schreibschrank ist gestempelt "Roentgen Neuwied". Greber, 1980 datiert in die vierte Schaffensperiode um 1775 -78, Schütz/Willscheid, 1990 liegen mit ihrer Zuschreibung "um 1790" deutlich später und vermuten eine Provenienz aus württembergischem Fürstenhaus (vgl. S. 53-54).
In der Literatur wird das Objekt unterschiedlich datiert: Bangert: um 1770, Fabian: 1767, neuerdings Zinnkann: um 1765
Erworben von der Kessler-Kolligs-Stiftung und seit 1929 im Besitz des Museums für angewandte Kunst (vgl. Zinnkann, 2005).
Originalmaße (HBT):
1444 x 876 x 488 mm
Ausführung
Das Möbel hat die Merkmale des klassizistischen Stils ab den 1775er Jahren, zitiert aber in auffälliger Weise die Materialien und Marketeriedesigns als Reminiszens des alten Stils der 1750er und 1760er Jahre. Dazu gehören die markanten geometrischen Muster in Form von Rautenbändern aus Bein, Perlmutt, Eben- und Eibenholz an Lisenen, Traversen und Friesen, Zierkanten um Rahmen und Schubladen aus Rosenholz und Buchsbaum sowie vergoldete Messingprofile. Auf prunkvolle wie teure vergoldete Bronzen wird gänzlich verzichtet zugunsten der Flächenwirkung der ausgesuchten Mahagonipyramiden. Im geschlossenen Zustand eher von zurückhaltendem Understatement entfaltet der Schrank die eingebaute Funktionalität und technische Raffinesse erst beim Öffnen.
Die Front hat eine für Schreibschränke übliche Aufteilung in Unterschrank mit zwei Türen und Kabinettaufsatz mit Klappe, gegliedert durch eine schmale Gurttraverse, allerdings ist schon an den Seitenteilen diese Zweiteilung vollständig aufgelöst: Die Seiten sind ohne Mittelgurt und bilden eine durchgehende glatte Fläche, Rahmen und Füllung werden im durchgehenden Furnierbild durch intarsierte Buchsbaum/Rosenholzrahmen nur noch angedeutet. Vor allem die im 45°-Winkel stehenden vorderen Ecklisenen betonen mit ihrem auffälligen Rautenmuster den ungebrochen vertikalen Verlauf des Möbelkorpus. Für Schreibschränke eher untypisch ist das Fehlen eines Kranzgesimses. An seiner Stelle bildet ein dreiseitiges pagodenförmiges Dach den oberen Abschluß, das im Inneren Volumen für ein geheimes Stehpult bietet - dies ist eine Besonderheit dieses Schreibmöbels. Der Deckelaufsatz ist nach hinten aufklappbar und gibt selbsttätig über ein Hebelwerk ein zweites, aufsteigendes Kabinett mit mehrteiligen Schubladeneinsätzen und gefaltetem Stehpult frei. Die Abschlußplatte des Deckels enthält rückseitig einen Spiegel, der bei halb geöffnetem Deckel Einblick in die Mechanik des oberen Kabinetts mit Seilzügen, Umlenkrollen und Führungen gibt. Durch das Zentralschloß können Aufsatz und Klappe getrennt geöffnet werden.
Vorbilder
Im Entwurf stimmt dieses Möbelstück überein mit dem französischen Typus des "Secrétaire à abbatant" und Roubo's "Secrétaire en forme d'Armoir". In dessen Entwurf finden sich die beschriebenen Ecklisenen und der zurückspringende Deckel wieder (L'Art du Menuisier en Meubles, III partie, 1772, planche 276, fig. 3, 6). Ein sehr ähnliches Möbel ist der in Satinwood gearbeitete Sekretär aus dem Harewood House in Yorkshire, der Chippendale zugeschrieben wird, der um 1770 -1773 auch andere Ausstattungsteile in klassizistischem Stil lieferte. Dieser Schreibschrank ist ebenfalls vertikal in den Seiten und Ecklisenen durchgehend, auf hohen geraden Beinen stehend und oben durch ein pagodenförmiges Dach abgeschlossen. In England ist diese Formgebung seit ca. 1750 bekannt durch William Vile. Das äußere Dekor ist bei diesem klassizistischen Entwurf Chippendales stark von den damals modischen pompejianischen Stilelementen (Girlanden, Kartuschen) geprägt, hat aber auch ein Rautenmuster am obenren Fries (vgl. MUSGRAVE 1966, Abb. 174 sowie Anm. S. 214).
Konstruktion
Der Korpus ist als durchgehende Außenhülle konstruiert, in die die Einbauten von vorn oder von hinten eingeschoben bzw. eingebaut werden können. Diese Modulbauweise erstreckt sich auf den Unterschrank, dessen Schubladengestell eingeschoben werden kann und auf das Eingerichte, das ebenfalls in einen separaten Rahmen eingebaut ist. Das Stehpult ist eine eigenständige Baugruppe, die auf Schienen von der Rückseite her montiert werden kann. Eine derartige Konstruktion erlaubt eine manufakturmäßige Parallelfertigung der Baugruppen Korpus, Eingerichte, Stehpult und Schubladenschrank. Die einzelnen Gewerke können arbeitsteilig und entkoppelt arbeiten. Am Ende stehen Endmontage, Einbau und Abstimmung der Mechanik und Abnahme. Eine solche Vorgehensweise ist nur möglich beim Vorhandensein genauer Rißzeichnungen und detailliert ausgearbeiteter Pläne. Sie stellt einen Meilenstein dar in der Konstruktion komplexer Möbel.
Kopie (1986)
Maße
1430 x 890 x 495 [mm]
Ausführung
Der Möbelkorpus ist außen in Pyramidenmahagoni furniert, sämtliche Rahmen sind an den Außen- und Innenkanten von einem schmalen Buchsbaum-/Rosenholzband geziert. Die vordere Gurttraverse und der Frontfries schmücken Rautenbändern aus Bein und Ebenholz. Die vorderen schräg gestellten Lisenen tragen ebenfalls dieses Rautenband aus Ebenholz, Buchs und Birnbaum. Den Sockel ziert eine umlaufende Messingrundleiste, die vorn geschweiften Füße umrandet eine Messingkehlleiste. Füllungen an Klappe und Türen sind eingefalzt und ebenfalls von Messingkehlleisten gehalten, rückseitig ergibt sich an beiden eine ebene Fläche. Klappe und Türen schlagen in Fälze. Die Platten sind abgesperrt, zusätzlich an den Hirnholzenden mit einer eingenuteten Hartholzleiste verstärkt und doppelseitig furniert. Die Oberfläche ist poliert.
Abbildung zeigt den Schreibschrank geöffnet mit ausgefahrenem Stehpult. Stehpult und die Füllung der Klappe innen sind mit einem dunkelgrünen Leder ausgeschlagen. Im Original dunkelgrün und oben dunkelrot, goldgeprägt.
Die Abbildungen zeigen einige Abweichungen gegenüber dem Original. Friese und Deckel sind weniger reich durch Zierleisten ausgeschmückt. Das weggelassene Ziergitter am Deckel bewirkt eine um ca 1,5 cm niedrigere Gesamthöhe. Im Original ist das Mahagoniholz des Deckels wesentlich heller als die übrigen Flächen, die Schlüsselschilder sind schwarz. Alle sichtbaren Beschläge sind aus Messing.
Risszeichnungen
Abweichend vom Original sind die Seiten in Rahmen und Füllung ausgebildet und passend zur Front mit Messingkehlleisten versehen.
Bei offener Klappe sichtbar sind an den Seiten des Eingerichtes je 4 Schubläden angeordnet. Oben reichen Ablagen über die ganze Breite, nur mittig durch einen Steg geteilt. In der Mitte ein zweitüriges Schränkchen, in das eine Bildintarsie eingelegt ist (linke Seite nach einem Stich von Ingram nach Francois Boucher, 1750: "Musique à clochette", ebenfalls verwendet von D. Roentgen, Schublade des Rollschreibtisches von 1775, Münchner Residenz). Beim Lösen einer geheimen Zuhaltung springen die Türchen auf. Dahinter befindet sich eine schwarz ausgelegte Nische mit drei Fachböden. Die Schublädchen aus Kirschholz haben Maserholzfurnier (Original: Mahagoni) mit Rosenholzrähmchen an den Fronten. Die sichtbaren Schmalkanten des Schubladengestells sind in Apfelholz, die Bögen der Nischen sind in Mirabellenkernholz gearbeitet. Auf die Ausstattung mit einem drehbaren zylindrischen Mittelteil wurde verzichtet zugunsten eines Ablagefachs, das durch zwei Türchen mit Bildintarsie abgeschlossen wird. Ebenfalls verzichtet wurde auf den Einbau weiterer Geheimfächer (im Original im Eingerichte und im Stehpult).
Der Unterschrank enthält 6 Schubladen. Die gesamten Innenflächen der Türen sowie die Schubladenfront sind in Kirschbaum furniert, in die Schubladen ist ein Rosenholzband eingelassen. Die im Original schwarze Anschlagleiste wurde im Holz der Schrankinnenseite ausgeführt und der Spalt zwischen den Türen ist minimal. Die gekröpften Bänder mit vorliegendem Drehpunkt ermöglichen es auch, die Türen über 240° auszuschwenken.
Beim Öffnen des Deckels sorgt die Hebelmechanik für die Umsetzung der Drehbewegung in einen linearen Hub von mehr als 100 mm und das gesamte Stehpult wird hochgefahren. Bei geschlossenem Deckel fluchten die Einbauten mit der Korpusoberseite, ausgenommen das offene Kabinett hinter dem Pult, dessen Hubweg doppelt so groß ausgelegt ist und deshalb über das Pult hinaus hochsteigt, aber im eingefahrenen Zustand ausreichend Platz im Deckel findet. Hat es seine Ausgangshöhe erreicht, ist es auch am Pult angedockt und wird mit ihm nach vorn vorgeschoben. Das Vorderteil des Pults klappt an der Vorderkante des Korpus um und erreicht seine Endposition. Auf dieser Höhe klappen die seitlichen Schubladenteile nach außen und arretieren die gesamte Vorrichtung. Dem Deckelgewicht wirken Gewichte entgegen, die an Umlenkrollen geführt werden und den Deckel in der oberen Position halten. Die gesamte Konstruktion ist nach Abnahme des Rückdeckels zugänglich und kann eingestellt oder ausgebaut werden. Das Stehpult ist in einer Höhe von 1,35 m schreibbereit. Nach heutigen Maßstäben gesehen, ist dies eher zu hoch und nicht in der Höhe anpassbar (als starre Tischhöhe sind 105 cm (+ / - 20 mm), einstellbar mindestens zwischen 95 cm und 125 cm empfohlen). Neben der Nutzbarkeit war beim Entwurf wohl auch der spektakuläre Entfaltungsvorgang wichtig. In der Ausführung der Kopie wurde auf die dazu notwendige Federmechanik verzichtet. Der Nutzer muß selbst das Schreibpult ausklappen und nach vorn ziehen.
Literatur
- GREBER, Josef Maria: Abraham und David Roentgen. Möbel für Europa. Internationale Akademie für Kulturwissenschaften Starnberg 1980 (2 Bde)
- MUSGRAVE, Clifford: Adam and Hepplewhite and other Neo-classical Furniture. London 1966
- ROUBO, A.-J.: L'art du Menusier. Facsimile de la 1er édition 1769-75. Laget Paris 1976 (Reprint der Erstauflage 1769ff, 3 Bde.)
- SCHÜTZ, Rosemarie / WILLSCHEID, Bernd: Möbel von Abraham und David Roentgen. Kreismuseum Neuwied, Neuwied 1990