Schmuckschatulle - 2015

Vorbilder

Die Schmuckschatulle stellt keine Kopie eines vorhandenen Roentgenoriginals dar. Ein vergleichbares Kästchen aus der Roentgenwerkstatt ist nicht bekannt. In der äußeren Anmutung von Stilen des 18. Jahrhunderts geprägt, bietet diese Auftragsarbeit die Innenausstattung eines funktionalen Schmuckkastens. Der Mahagoni-Schreibsekretär von 1790 (heute Roentgenmuseum Neuwied) hat - auf die Dimensionen eines Kleinmöbels reduziert - für den Entwurf Pate gestanden.

Jenes Vorbild aus einer späten Phase der Roentgenwerkstatt zeigt bereits ein Spannungsverhältnis im Möbelentwurf mit architekturalen Elementen und glatten Flächen auf der einen Seite und der auffälligen Rautenmarketerie an den Friesen und Lisenenfeldern. Obwohl dieser Schrank in klassizistischer Auffassung ohne Flächenornament auskommt, werden gleichsam als Blickfang kontrastreiche Rautenbänder an Ecklisenen und Traversen verwendet. Diese Rautendekore sind eine Reminiszenz an die Anfänge der Manufaktur um 1755-60 und zitieren gleichsam die vom englisch-niederländischen Stil geprägten frühen Arbeiten der Roentgenmanufaktur unter der Leitung von Abraham Roentgen. Zahlreiche Tische und Schreibkommoden, z.B. die Walderdorff-Kommode des Reiss-Museums Mannheim (REM), Inv.nr L 470, um 1760; vgl. SWOBODA, 1981, S. 26f. Abb. 11a-d), sowie das Kommodenpaar des Roentgenmuseums Neuwied (Erwerb 2011) sind in diesem Rautendekor ausgeführt.

Diesen schon im Vorbild angelegten Kontrast zeigt die Schmuckschatulle im ausgeprägten Maße. Die Furnierung der meist gewölbten Flächen durch geometrische Muster aus Palisander-, Rosen- und Königsholz war eine Mode des Barock, die Abraham Roentgen in seinen Gitter- und Rautenmustern aufgriff und vervollkommnete. Die Flächen des Schmuckkastens sind in einem derartigen, von Abraham Roentgen häufig verwendeten Gitter-/Rautenmuster parkettiert. Palisanderfurnier, Messingblechverkleidungen, Bein- und Perlmutteinlagen sind eine Materialkombination, die Abraham Roentgen wohl aus seinen Reisen nach England und den Niederlanden kennengelernt hat und in den 60er Jahren häufig verwendete. Auch diese Materialkombination findet bei der Schmuckschatulle Vewendung.

Gesamtmaße

Höhe 35,60cm - Breite 34,00 cm - Tiefe 25,70 cm

Konstruktion

Der Korpus ist ein auf Gehrung aus Eichenholztäfelchen zusammengeleimter, vorne und unten offener Kasten mit eingefälzten Böden. Die Klappe an der Vorderseite ist in speziell konstruierten Zapfenscharnieren so gelagert, dass sie in geöffnetem Zustand unter dem Schubladeneinsatz anschlägt (vgl. Abbildung Klappenscharnier). Im geschlossenen Zustand greift die Unterkante hinter das Sockelprofil, so daß sich die Vorderseite nicht von den übrigen Seiten unterscheidet. Ein eichener Rahmen und ein eingenuteter Zwischenboden bilden ein oberes Ablagefach. Ein Zwischenboden im Bereich des Schubladengefaches und ein umlaufendes Sockelprofil versteifen die Konstruktion. Um die Klappe leicht montieren zu können, ist die vordere Sockelleiste samt Füßen geschraubt montiert. Hinter der Vorderklappe befindet sich 5 Schublädchen unterschiedlicher Höhe mit messingnen Knopfgriffen. Sie sind in ihren Innenabmessungen auf die heute gängigen Schmuckkartonformate abgestimmt. Schubladenlaufleisten und Zwischenboden sind in eingefräste Nuten eingelassen (vgl. Schnitt Korpus unter Risszeichnungen).

Der pagogenförmige Deckel ist aus einem Hohlkehlprofil (Kern 3-lagiges Buchenformholz), einem äußeren und einem inneren Deckfurnier gearbeitet, die Eckkanten des Profils sind gebrochen und gehen zwickelförmig über in die Ecklisenen des Korpus. Am oberen Deckelrand ist das Kantenprofil mit poliertem Messingblech verkleidet. Für die Innenauskleidung des Deckels wurde Sägefurnier aus deutschem Nußbaum verwendet, die Außenseite ist mit helleren Palisanderstreifen bekleidet. Die Hohlkehle und alle Marketerieflächen wurden in 2-K-Epoxidkleber und untergelegtem Glasfasergewebe aufgeklebt. Der Deckel ist dadurch äußerst formstabil und schließt sauber.

Schließmechanismus

Kleinmöbel der Roentgenwerkstatt hatten häufig ungewöhnliche und versteckte Schließmechanismen. Dieses Kästchen hat in geschlossenem Zustand vier einheitliche Schauseiten mit identischem Gitter-Rautendekor. Ein Schlüsselloch sucht man vergeblich. Vorder- und Rückseite unterscheiden sich nur durch eine kleine im Fries eingelassene Perlmuttraute, die der Rückseite fehlt. Diese Raute ist als versteckter Druckknopf gearbeitet. Drückt man ihn, wird der Deckel entriegelt und kann geöffnet werden, ein flaches Fach mit Mittelkassette kommt dann zum Vorschein. Um die vordere Klappe zu öffnen, muss eine versteckte Zuhaltung an der Innenseite des Vorderfrieses gefunden und nach oben gedrückt werden. Beim Schliessen schnappen beide Zuhaltungen hörbar ein. Abb. 3a, b zeigen, wie beide Zuhaltungen auf einer Montageplatte (A) angeordnet sind. Nach Art eines Schatullenschlosses greift eine unter Federspannung stehende, drehbar gelagerte Zuhaltung (B) in die Nut des am Deckel angebrachten Zapfens (C) und hält ihn damit fest. Der Riegel für die Vorderklappe (E) wird von einer Feder (F) bis zum Anschlag nach unten gedrückt. Ein Bolzen (G) geht durch die Montageplatte nach hinten und der Riegel kann durch den Betätigungsknopf nach oben gezogen werden. Ist entriegelt, öffnet sich die vordere Klappe etwas und kann mit leichtem Druck ganz aufgeklappt werden. In diesem Zustand bildet sie eine zum Schubladenfach hin abgeschlossene glatte Fläche. Die Schließmechanik hat eine Stärke von max 7 mm und ist in einen Schlitz des oberen Frieses eingelassen.

Marketerie

Korpusflächen und Deckeloberseite sind im diagonal geflochtenen "Gitter mit Rautenmuster erster Ordnung" (GREBER) aus Exotenholz (Palisanderholz und Rosenholz) gearbeitet, ein häufig von Abraham Roentgen eingesetztes Dekor. Die Flächen sind von einem Querfurnierstreifen aus Königsholz umrahmt.

Die Innenflächen sind in europäischen Hölzern - Apfel-, Kirsch-, Zwetschgen-, Nuß- und Olivenholz - ausgeführt. Das Schubladengefach enthält an der Vorderfront ein rechteckiges Gittermuster aus Apfel- und Nußbaumholz auf geflammtem Zwetschgenholzhintergrund. Die Klappeninnenseite schmückt ein Diagonalgitter in gesägten Kirsch-, Zwetschgen- und Nußbaumfurnieren auf dunklem Palisanderhintergrund. Beide Marketerien verwenden einen 3-D-Effekt (Trompe-L'Oeil-Effekt).

Marketeriehölzer

Die hauptsächlich für die äußeren Flächen verwendeten Sägefurnierhölzer in Rohstärken von etwa 2 mm gehörten zu den wichtigsten historischen Marketeriehölzern, in der Zusammensetzung Palisander, Königsholz und Rosenholz als bois des indes vorzugsweise verwendet für die Parkettierung von Möbelflächen im Gitter- und Rautenmuster. Die Abbildungen zeigen heute zertifiziert erhältliche, gesägte Qualitäten mit zum Teil deutlichen Spuren der Furnierbandsäge beim Königsholz.

DALBERGIA cearensis Handelsnamen: Königsholz, Veilchenholz, Bois de Roi, Kingwood. Lokalnamen Jacaranda cega macho, Jacaranda violeta, Miolo de negro, Pau violeta.

DALBERGIA nigra Kernholz Handelsnamen: Rio-Palisander, Jacaranda, Brazilian Rosewood, CITES Gefährdungsstufe 1, EU-Importverbot violettbraunes, zäh-hartes, gut schleif- und polierbares Holz mit wenig Poren, nicht lichtecht

DALBERGIA decipularis, Kernholz Handelsnamen: Bahia-Rosenholz, Brazilian Tulipwood sehr hart und dicht, spröde, Rottöne nicht lichtecht. Alle verwendeten Hölzer sind sehr gut schleif- und polierbar. Seitenflächen und Deckel sind nach den üblichen Verfahren mit Schellack auf Hochglanz poliert.

Risszeichnungen

Literatur

  • GREBER, Josef Maria: Abraham und David Roentgen. Möbel für Europa. Internationale Akademie für Kulturwissenschaften Starnberg 1980 (2 Bde)
  • ROUBO, A.-J.: L'art du Menusier. Facsimile de la 1er édition 1769-75. Laget Paris 1976 (Reprint der Erstauflage 1769ff, 3 Bde.)
  • SCHÜTZ, Rosemarie / WILLSCHEID, Bernd: Möbel von Abraham und David Roentgen. Kreismuseum Neuwied, Neuwied 1990
  • SWOBODA, Franz: Deutsche Möbelkunst restauriert 1976 -1980. Bildhefte des Städt. Reiss-Museums Mannheim. Mannheim 1981 (32 S.)